Sonntag, 26. Januar 2014


Erste Begegnung mit dem Veganismus

jedes Mal, wenn ich wieder bei Carlo Vegano etwas Feines aß, öffnete
ich mich ein wenig mehr der für mich zu diesem Zeitpunkt noch
extremen Ernährungsweise.
Obwohl ich »nur« Vegetarier war, spürte ich des Öfteren eine orthodoxe
Ablehnung von ItalienerInnen, die mir erzählten, dass Fleischkonsum
zu ihrer Esskultur gehöre. Mir wurde klar, wie stark unsere
persönlichen Ernährungsgewohnheiten von unserer Familie, unseren
Freunden und der jeweiligen Kultur unseres Landes geprägt sind.
Wie eine Religion gehört für einige Menschen die Art ihrer Ernährung
direkt zu ihrem Sein. Entsprechend empfindlich reagieren sie,
wenn sich jemand diesen Essgewohnheiten entzieht und somit in Frage
stellt. Die gelegentliche Entrüstung, die mir entgegenschlug, wenn
das Thema auf den Vegetarismus kam, fiel oft sehr emotional aus, vermutlich
weil wohl jeder Mensch irgendwo in seinem Herzen spürt,
dass das Essen von anderen Lebewesen gegen die Natur des Menschen
geht. Auch wenn die Allesesser sich meist in keiner Weise unmoralisches
Verhalten gegenüber Tieren vorwarfen, reizte es sie doch,
wenn sie auf jemanden trafen, der aus freien Stücken und aus Empathie
mit anderen Spezies einen Sinneswandel bei seiner Ernährung
vollzogen hatte. Wir Menschen tragen in unserem Herzen Liebe für
die Lebewesen dieser Welt und jedes Mal, wenn wir bei anderen Menschen
sehen, wie gelebte Liebe aussieht, gibt uns das Mut und Hoffnung,
diese Liebe auch zu leben. Aber es kann auch zu Abneigung,
Verneinung oder Lächerlichmachung kommen, weil wir es als persönliche
Attacke gegen unser konditioniertes Sein empfinden und Angst
haben, unseres Selbst beraubt zu werden. Ich selber spürte eine leichte
Missachtung und Verdrängung der Thematik, wenn ich mit Carlos
»radikalem« Weg konfrontiert wurde, obwohl ich ihn als richtig und
ethisch korrekt betrachtete und mich ohnehin vegetarisch ernährte.
Vielleicht war der Grund, dass ich noch nicht genügend Kraft besaß,
es ihm gleichzutun. Da spielten sicher mein persönlicher Stolz und
mein Ego eine große Rolle, weil ich nicht so lebte, dass meine Gedanken
und Gefühle mit meinem Tun im Einklang standen.


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